Zurzeit laufen die Bewerbungen für meine Nachfolge. Ganz ehrlich, da sind tolle Bewerbungen dabei. Ich drück die Daumen und hoffe, dass sich der oder die Richtige finden lässt. Für mich zeigen sich neue Wege am Horizont. Gott sei Dank muss ich sagen, denn sonst könnte der Abschied tränenreich werden. Aber ich kann sagen, dass ich mein Bestes gebe und schon gegeben habe und das erwarte ich auch von meiner Nachfolgerin bzw. meinem Nachfolger. Das ist dieser Glücksort wert. Ich kenne keinen schöneren Arbeitsplatz und die Anzahl der Bewerbungen zeigt mir, dass andere dies auch erkennen. Jetzt brauchen die Entscheider*innen nur noch ein gutes Händchen. Ich vertraue darauf.
Als ich gestern zum Frühstück kam, lag die Zeitung aufgeschlagen auf dem Tisch und ich lachte mich an. Mit dem Foto war ich einverstanden (meistens ist das nicht der Fall). Mit dem, was über mich geschrieben war, war ich auch einverstanden. Ja, mir kullerten sogar Tränen übers Gesicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich lieber andere lobe. Heute war es anders.
Als ich von den Kindern einmal darauf angesprochen wurde, ob ich wirklich gehen werde, kam als nächstes die Sorge, wie das dann hier wohl weitergeht. Ich fragte die Kinder, was denn mein Nachfolger, meine Nachfolgerin mitbringen müsste. Da kam es wie aus der Pistole geschossen: Strenge, Humor, gut Zuhören können, herzlich sein…
Strenge? Wie bitte? Das soll eine Qualität sein. Ja, sagten sie im Chor, du bist streng, aber gerecht. Du sagst, was ist. Wenn das die Kinder so sehen, dann macht mich das glücklich, denn genau das will ich sein.
Humor? Wie bitte. Das hätte ich nicht erwartet, aber sie meinten, ich könne mich so mitfreuen, wenn sie sich freuen. Und da haben sie auch wieder Recht.
Zuhören können. Ja, das muss man. Sogar ganz genau und dann den Faden aufnehmen, um dahinter zu kommen, warum der eine so und der andere so agiert oder reagiert hat. Das habe ich in der Ausbildung gelernt.
Heute Nacht lag ich längere Zeit wach. Ich nutzte die Gelegenheit um nachzudenken. Da fiel es mir wie Schuppen vor den Augen, dass ich großes Glück hatte, so eine strenge Mutter gehabt zu haben. Ich gebe es zu, wir lagen oft, sehr oft im Clinch. Sie nannte mich dickköpfig und faul und ich sie vor allem ungerecht. „Du verstehst nicht, was ich will“, so meine häufige Anklage.
Und dabei wusste ich wirklich schon sehr früh genau, was ich wollte. Ich hatte ein herrliches Leben auf dem Dorf. Am liebsten saß ich auf einen der Bäume auf den Mainwiesen oder im Gras, umringt von Margeriten und Insekten, die summten. Oder ich staute einen Bach. Selbst Blutegel an den Beinen machten mir nichts aus. Natur war selbstverständlich.
Man könnte also meinen, ich wollte Biologin werden. Aber weit gefehlt.
Mein Schlüsselerlebnis war etwas ganz Anderes. Es war das Gefühl von „Eingesperrtsein“ im Kindergarten. Ich musste spielen, was mir hingelegt wurde. Wir mussten alle zur gleichen Zeit auf die Toilette, ob man musste oder nicht. Schon nach kurzer Zeit verweigerte ich vehement in den Kindergarten zu gehen. Meine Mutter akzeptierte meine Entscheidung. An einem Nachmittag im Zwetschgenbaum entschied ich mich: ich will was mit Kindern machen. Das geht besser.
So ist mir ist inzwischen klar geworden, dass ich meiner Mutter in erster Linie mein Glück für ein erfülltes Berufsleben zu verdanken habe. Sie hat mich gefordert, aber auch gefördert. Ja, so möchte ich es ausdrücken. Ich war eine Herausforderung, nicht nur für sie. Das was ich tat oder tun musste, musste einen Sinn ergeben. Wenn ich einen Sinn erkannte, dann konnte ich mich auch motivieren. Mit dieser Einstellung hat sie mich agieren lassen. Sie hat mir nie reingeredet, was aus mir werden soll.
Zugegebenermaßen war meine Schulzeit eher ein Desaster für mich und meine Eltern. Ich wehrte mich gegen ein stupides Auswendiglernen, ich wehrte mich gegen jede Form von Hierarchie. Das von oben herab. Wieso hatten Pädagog*innen so wenig Lust auf ganzheitliches Lernen. Etwas im Zusammenhang verstehen motiviert, und bringt noch Erfolg und Zuversicht durch kleine Schritte.
Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, dann hätte ich die Hauptschule besuchen sollen. Ich hatte seine Erwartungen nicht erfüllt. Aber meine Mutter hat in mir mehr gesehen. Sie hat an mich geglaubt, sie hat es mir zwar nicht gesagt, aber es muss so gewesen sein.
Und deshalb konnte ich die werden, die ich jetzt bin. – Ist das nicht Auftrag genug, sich mit den jungen Menschen zu beschäftigen. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft, ihre eigenen Talente oder Stärken zu entdecken, wenn es sein muss, auch mit Strenge.
Dies zu schreiben, lag mir am Herzen. Mein Dank geht an meine Mama.