Stille im ganzen Haus. Es tut so gut. Manchmal wünschen wir uns, Frau Dexler und ich, diesen Zustand auch an einem ganz normalen Vormittag. Aber wir haben bereits Hochbetrieb und mir fehlen die Momente, in denen wir unsere Arbeit untereinander intensiver reflektieren könnten.
Frau Dexler freut sich nämlich immer, wenn sie etwas vom Geschehen draußen mitbekommt. Sie hört gespannt zu, wenn wir von unseren Erlebnissen und Erfahrungen aus den pädagogischen Programmen mit Kindern erzählen. Sie erdet mich auch schon mal, wenn ich mir all zu große Sorgen mache, weil sich zum Beispiel, wie diese Woche passiert, der Caterer verspätet.
Vorsichtig fragte sie auch bei mir an, als sich der Lehrer einer Schule meldete und sich nach dem Programm für kooperative Spiele erkundigte. Sie hörte heraus, dass sich in der Klasse noch keine richtige Klassengemeinschaft eingestellt habe. Er erhoffe sich, dass man durch einem Ausflug hierher, neue Impulse (durch die Draufsicht von Außen) für eine bessere Gemeinschaft bekommen könne. „Das ist doch ein Fall für Sie“, sagte sie. Ich versprach Petra bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.
Wir freuten uns auf die SchülerInnen aus Heppenheim, die bereits eineinhalb Stunden hierher zu Fuß unterwegs waren. Da konnten wir gleich erste Komplimente verteilen. Zumal sie auch noch schneller unterwegs waren als geplant.
Die Lehrkräfte bekräftigten ihren Eindruck vom fehlenden Zusammenhalt. Nichts was sie verbindet.
Wir trafen uns zur ersten Vorstellungsrunde im Kreis. Irgendwie bin ich empfindlich, wenn ein Kreis nicht alle miteinbezieht, wenn einer vornedran steht oder sich hinten versteckt. Es dauerte eine Weile bis alle begriffen hatten, dass jeder seinen Nebenmann oder seine Nebenfrau sehen und wahrnehmen sollte.
Ganz offen sprach ich auch an, was der Lehrer in den Raum stellte. Ich sagte: „Ich habe gehört, es fehlt euch an einer guten Klassengemeinschaft. Das ist die Ansicht eurer Lehrer. Wie seht ihr das? Antwortet mir mit dem Daumenprinzip. Daumen rauf – Daumen runter.“ Die Antwort kam schnell und ernüchternd. Keinen hob den Daumen. Einige pendelten zwischen oben und unten, aber die meisten zeigten mit dem Daumen nach unten. Klare Ansage. Ich bekam sehr ehrliche Antworten darauf, woran man das erkennen könne. Da war von Mobbing die Rede, vom Gesetz der Stärkeren, davon, dass Mädchen immer gleich heulen würden…
Ich hörte mir das eine zeitlang an und wagte eine erste Einschätzung. Ich sagte ihnen, dass ich den Eindruck hätte, dass jeder nach den Schwächen der anderen schaue, sich über andere lustig mache… eben das ganze Programm – und das alles nur, damit man selbst nicht verletzt, gekränkt, ausgegrenzt und gemobbt wird.
Wir starteten eine weitere Runde, in der jede/r sagen sollte, was er für eine Stärke bei sich selbst bemerke, was ihn auszeichnen würde. Die sportlichen unter ihnen hatten es einfach: „ich kann gut Fußball spielen, ich bin schnell … Aber es war sehr schwer, etwa zu sagen: „ich kann gut zuhören, auf mich kann man sich verlassen“. Manche wussten gar nichts „Gutes“ über sich zusagen, aber den anderen fielen schnell positive Eigenschaften über andere ein. Ein Mädchen sagte: „ich hab immer Taschentücher dabei“. Was ich so interpretierte, dass ich vermute, das damit gemeint sei, sie sei eine gute Trostspenderin. Die anderen bejahten dies.
Die Runde lockerte sich auf, die Konzentration blieb in der Gruppe, sie fingen an, sich zu entspannen und so konnten wir mit dem ersten Spiel starten.
Der Froschpfad eignet sich sehr für einen ersten Kontakt untereinander. Vor allem wenn man sich auf der Hälfte begegnet. Wie komme ich an dem anderen vorbei, ohne ihn berühren zu müssen. Sie schafften es! Ist natürlich eher ironisch gemeint. Aber Petra und ich bemerkten die positive Stimmung. Niemand wurde verlacht, als er aus dem Gleichgewicht kam.
Wir reflektierten die Runde und Petra erklärte die nächste Herausforderung. Auf einem Zettel stand, dass jeder ein Handicap hatte. Stumm, Blind, Fußkrank, Arm verletzt… Alle standen auf einem Brett und mussten sich dann, ohne vom Brett zu fallen, nach dem Geburtsdatum sortieren. Dieses Spiel gefiel mir besonders gut. Sie fielen zwar immer wieder vom Brett. Aber die Kommunikation klappte hervorragend. Sie kamen auch in körperlichen Kontakt und dies geschah sehr natürlich. Wir sagten ihnen zwar hinterher, dass wir das Spiel mehrmals hätten unterbrechen und wieder von vorne beginnen hätten müssen, weil sie vom Brett fielen, aber uns sei wichtiger gewesen, wie sie untereinander einig wurden.
Die beiden LehrerInnen, die das Geschehen am Rande beobachteten wirkten zufrieden und etwas überrascht. Das Eis war in meinen Augen gebrochen. Die SchülerInnen waren, zumindest für diesen Augenblick, eine Gruppe. Sie sprachen sich ab, auch beim nächsten Spiel, sie probierten Neues aus, sie kamen gemeinsam ans Ziel. Sie freuten sich über Erfolge…
Als wir wieder reflektierten, spürte ich, dass es jetzt besser wäre, sie „laufen“ zu lassen. Ich fragte sie, ob sie bereit für das nächste Spiel seien oder ob sie lieber die Zeit für eigene Entdeckungen nutzen wollten.
Sie fragten nach der Art des Spieles, beratschlagten sich untereinander und entschieden sich dann für die „Freizeit“. Das waren für uns dann die schönsten Beobachtungsmomente. Sie waren gemischt in Gruppen unterwegs und hätten noch lange, lange keine Langeweile empfunden. Alles war gut.
Über den Vorschlag des Lehrers kurz vor Schuljahresende noch einmal hierherzukommen waren alle begeistert. Ich gab noch eine kleine Zugabe. Sollten dann der Klassengeist spürbar gewachsen sein, dann würde ich ihnen ein drittes Zusammentreffen spendieren, z.B. an der Feuerstelle.
Ich bin gespannt und voller Zuversicht.