„Siehst du den Wanderfalken?“ „Nee, nicht wirklich.“ „Doch der muss da oben sitzen, die Veronika hat gesagt, sie haben eine neue Wohnung bekommen.“ „Wieso eine neue Wohnung?“ „Na, du verstehst nicht. Die sind doch umgezogen“. „Aha“.
Genau das ist passiert. Seit 2009 hatte unser Wanderfalkenpärchen ein schönes Heim. Hoch oben in der Luft. Auf einem Strommasten. Das war nicht immer so. Lange Zeit flog ein einsamer Falke über dem Ried. Wo sollte er wohnen? Die Bensheimer Naturschützer hatten dann veranlasst, dass ein Kasten gebaut und von der Bahn platziert wurde.
Die nächste Falkenfrau, die vielleicht ebenso auf der Suche war, konnte er mit seinem Balzverhalten überzeugen. Er lud sie ein zu bleiben und schon gründeten sie im nächsten Jahr eine Familie. Jedes Jahr wurde ein Falkenkind mehr geboren. Wenn sie flügge sind, verabschieden sie sich und nur die Eltern bleiben zurück. Im vergangenen Jahr kam von der Bahn die Mitteilung, dass der Mast verlängert wird. Gerhard konnte erreichen, dass sie mit dem Abbau warten, bis die Falken ausgeflogen waren. Das bedeutete auch das Ende im Eigenheim. Was nun? Was tun?
Der Kasten war witterungsbedingt renovierungsbedürftig. Er wurde grunderneuert und stand nach Fertigstellung für ein paar Tage bei uns im NZB. Aus der Nähe betrachtet wirkt er wie eine kleine Hundehütte. Oben auf dem Mast wirkt er so groß wie eine Schuhschachtel.
Wir Falkenfreunde sahen seit dem Abbau jeden Tag an den Himmel. Da flogen die zwei. Hatten kein Zuhause mehr. Ich rief ihnen manchmal zusammen mit Kindern zu, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, wir hätten sie nicht vergessen.
Ende Januar standen dann zwei Bedienstete der Bahn vor mir. „Entschuldigen Sie, ich soll den Falkenkasten abholen. Wo soll der denn hin“? Ich ging mit ihnen um die Ecke. Wir schauten auf den neuen Masten, der jetzt dafür vorgesehen war. Zufällig saßen beide auf den Traversen. „Na schauen Sie doch mal“, sagte ich, „die warten schon sehnsüchtig auf sie. Es wird Zeit.“ Humorvoll rief der Bahnmitarbeiter in die Richtung: „Falken! Wir kommen.“ Das hat mir gut gefallen.
Die Vorbereitungen, also ein Metallgestell zu montieren, kamen zuerst. Dabei turnten die zwei von der Bahn leicht und locker oben auf dem Mast herum. Zumindest sah es von unten gesehen so danach aus.
Am nächsten Tag wurde dann der Kasten hochgezogen. Ob unsere Falken diesen Vorgang beobachtet haben?
Nach wenigen Stunden konnte auch der Strom wieder eingeschaltet werden. Die Falken flogen im sicheren Abstand um die Neuerung herum.
Nach zwei Tagen, am 2. Februar, ich war gerade am Morgen zur Arbeit gefahren, da nahm ich auf dem Masten eine größere Silhouette wahr. Ich schaute genauer. Da bewegte sich ein Vogel mit schnellen Flügelschlägen. Wenig später flog er weg. Das Weibchen blieb zurück. Die Situation war also eindeutig. Sie hatten sich gepaart.
Noch am Nachmittag schauten wir mit dem Fernglas nach oben. Da saß ein Altvogel vor dem Eingang seiner neuen Hütte. Sie hatten sich schnell mit der neuen Situation vertraut gemacht. Gerhard meinte, es war gar nicht so selbstverständlich, dass sie so schnell ihre Scheu verlieren. Es hätte ja sonst wer im Kasten sein können.
Jetzt warten wir und hoffen, dass es auch mit dem Nachwuchs klappt. Wir haben ein informatives Buch: 42 Tage Nestlingszeit. Da kann man die Entwicklungsstadien vom Ei bis zum „Flügge werden“ verfolgen.
Ich habe auch noch einmal in alten Blogberichten geblättert. Am 21. Mai 2010 schrieb ich, dass ich so etwas „helles und wollknäulartiges“ auf dem Balkon des Wanderfalkenkastens gesehen habe. Es war das erste Junge.