Ein Hoch auf alle Fördervereine, deren Sinn ich immer mehr erkenne. In Zeiten knapper Kassen spüren und hören wir von Kindertagesstätten oder Schulen, dass sie sich nicht mehr so wie früher einen Ausflug, auch wenn es ein pädagogisches Angebot ist, für ihre Kinder leisten können. Und dann ist es gut, einen Förderverein zu haben.
In den vergangenen Tagen waren deshalb auch SchülerInnen der ersten Klasse einer Bensheimer Grundschule zu Gast. Die Vorsitzende des Fördervereins sagte im Vorgespräch, es sei ein großes Anliegen der Eltern, den Kindern (die alle aus verschiedenen Kita´s aus Bensheim kommen), durch diesen gemeinsamen Ausflug und durch kooperative Spiele, die Möglichkeit zu geben, das „Wir-Gefühl“ der Klassengemeinschaft zu stärken.
Das war auch eine Herausforderung für Petra und für mich. Wir beide haben zwar langjährige Erfahrungen im Umgang mit Gruppen, aber wir haben selbst auch noch den Umgang miteinander zu üben, genau wie diese Kinder. Wie werden wir als Team es schaffen, zu spüren, wann man agiert oder sich eher zurücknehmen muss, um die Situation noch besser erkennen und leiten zu können.
Als Pädagogin hat es mir unheimlich Spaß gemacht, diese Prozesse der Klassen begleiten zu dürfen. Da geh ich einfach in der Sache auf.
Gerne denke ich an eine Situation, die sich gleich nach dem Ankommen abspielte. Die Lehrerin sagte zur Begrüßung: „Wir freuen uns alle so sehr auf diesen Vormittag, nachdem wir von den anderen beiden Klassen hörten, wie toll es war“. Ich schaute in erwartungsfrohe Gesichter, die, sogleich sie das Außengelände wahrgenommen hatten, ihre Taschen ablegten und nach draußen stürmten. Der Balancierbalken ist dabei immer ein Anziehungsmagnet.
So hatten Petra und ich genug Zeit, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Aus der Gruppe löste sich ein Junge, der die anderen mit seiner Größe überragte, was er für sich auch gleich als Machtmonopol betrachten könnte.
Er legte sich mit einem anderen Jungen an, der ihm gerade in die Quere kam. Er beschimpfte ihn wortgewaltig mit Dummkopf und anderen Ausdrücken. Und dieser wusste grad gar nicht, wie ihm geschah.
Das reizte mich. Wir trafen uns bald darauf in großer Runde und bei der Begrüßung fragte ich die Kinder, ob hier jemand in der Gruppe etwa ein Dummkopf sei. Alle verneinten. Ich sprach diesen Jungen an und erzählte von meiner Beobachtung. Ich sagte ihm auch, dass wir in meiner Kindheit früher sagten, wenn uns einer beleidigte: Was man sagt, dass ist man selber… (der Spruch geht noch weiter – kennen Sie ihn?). Mich hat dieser Satz immer beruhigt, weil er das Gesagte von mir wegnahm.
Jetzt kam mein Wagnis. Ich stellte mich hinter Martin (Name geändert), legte eine Hand auf seine Schulter und eine etwas weiter nach unten in die Nähe seines Herzens, so dass ich seinen schnellen Herzschlag wahrnehmen konnte und fragte die Kinder, ob sie Martin für einen Dummkopf hielten. Sie schrieen alle ganz laut: „ja“. Ich wiederholte daraufhin ganz langsam noch einmal meinen Satz: „Hört mal, seid ihr euch ganz sicher, dass Martin ein Dummkopf ist“? – Kurze Stille. Daraufhin eine eindeutig klare Antwort von allen: NEIN. Na, sagte ich, da sind wir ja doch alle einer Meinung. Ich halte ihn auch nicht für einen Dummkopf. Ich glaube, er ist klug und warmherzig.
Ich fragte Martin, ob er nicht Lust hätte, Petra und mir alle Kinder einzeln vorzustellen und dabei solle er sich überlegen, was er denn von diesem Kind bereits Besonderes wüsste. Er stellte sich hinter jedes Kind, berührte es an den Schultern, stellte es vor und mit unglaublicher Freude im Ausdruck wusste er auch über jeden eine besondere Eigenschaft zu nennen. Sie werden es ahnen. Für diesen Jungen wurde der Vormittag zu einem besonderen Erlebnis ohne weitere nennenswerten negativen „Aufmerksamkeitsgesuche“.
Es blieb genug Zeit für vertrauensbildende Spiele, Bewegungsspiele, das Finden eines Schatzes und es blieb auch noch Zeit, um am Feuer sein Stockbrot zu braten und gemeinsam zu singen oder einer Geschichte zu lauschen.
Die LehrerInnen bedankten sich, für die Möglichkeit sich ein wenig zurücknehmen und in die Beobachterrolle schlüpfen zu können. Sie hätten so die Kinder noch einmal ganz anders wahrnehmen können.