Als Einstimmung für das Sonntagsgespräch zum Thema Streuobstwiesen fuhr ich gestern mit Gerhard nach Zotzenbach. In Zotzenbach gibt es jede Menge Streuobstwiesen und mit Zotzenbach verbinde ich auch die Erinnerung an unsere inzwischen verstorbene Helga Bitsch. Helga schaffte eine „Wiederbelebung“ zwischen mir und dem Apfel, dem ich keine besondere Beachtung mehr schenkte. Es gab ihn, und er schmeckte.
Wir besuchten zunächst Helga auf dem Friedhof. Von diesem Ort aus kann man bereits in der Ferne Streuobstwiesen erkennen. Das Wetter war ideal für diesen Ausflug und so wurde dieser Spaziergang zu einem ganz besonderem Erlebnis.Überall leuchteten uns die reifen und roten Äpfel entgegen, leichter Frühnebel lag über den Feldern und das Gras war noch feucht. Mit allen Sinnen nahmen wir diese kraftvollen Orte auf und wir konnten ebensolche Kraft auch auftanken und mitnehmen, auch in unsere Veranstaltung.
Dort trafen sich unerwartet viele interessierte Gäste. In ungezwungener Athmosphäre, fast wie in einem Cafehaus, saßen wir zusammen und tranken Apfelsaft von den Streuobstwiesen der Region. Gerhard Eppler stellte das Anliegen und die dazu eingeladenen „ExpertInnen“ vor. Schnell war aber auch klar, dass sich auch unter den Gästen Fachmänner und Fachfrauen befanden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich oberflächlich mit der Thematik Streuobstwiese und Apfelsaft… vertraut gemacht, aber sie war noch nicht zu einer Herzensangelegenheit geworden. Das hat sich mit dem gestrigen Tag auf jeden Fall verändert und wie ich hörte, ging es nicht nur mir so.
Am Anfang erfuhren wir, dass die Streuobstwiesen in Hessen zu 95% in den letzten hundert Jahren zurückgegangen sind. Sorten wie der Spitzrabau oder der Pflasterapfel seien fast völlig aus dem Sortiment verschwunden. Als ich heute mal nach der Apfelsorte Spitzrabau googelte, erfuhr ich, dass diese Sorte in dem 1915 von der Landwirtschaftskammer für das Großherzogtum Hessen herausgegebenen „Obstsortiment für die Provinz Starkenburg“ als lokale Apfelsorte im damaligen Landkreis Heppenheim erwähnt wurde.
Wenn ich nicht noch andere Aufgaben zu erledigen gehabt hätte, dann hätte ich mich ganz in das Thema Obstbäume und alte Apfelsorten vertieft. Aber auch so habe ich gestern eine Menge dazu gelernt. Wussten Sie, dass die Streuobstwiese Lebensraum für ca 5400 Tier- und Pflanzenarten bietet. Ein typischer Vertreter ist der Steinkauz und den durfte ich gestern morgen live beobachten. Ich konnte ihm mit Hilfe des Fernglases direkt in die Augen sehen. Wir näherten uns langsam und leise, dann flog er weg und ich konnte seinen unverkennbaren Flug beobachten. Ich habe ein Foto gemacht. Für Sie ein Suchspiel: Finden Sie heraus, wo der Steinkauz sitzt.
Herr Horn (von der gleichnamigen Kelterei aus dem Odenwald) beschrieb eine traurige Wirklichkeit. Er sagte: „die Bäume werden alt, die Menschen, die die Bäume pflegen werden alt…“ und was passiert, das könnte man sich leicht ausmalen. Auch sein Sohn sagt zu ihm: „Vadder reiß die Beem raus… und weiter sinngemäß: sonst fahr ich mit dem Bulldog nicht mehr (sorry, der Dialekt ist mir nicht so sehr vertraut, ich hätte sonst ganz gerne richtig zitiert). Es fehle das Verständnis und vor allem die Wertschätzung. Auch den Nachkommen der Obstbauern fehle es an Interesse, die alten Obstsorten kennen zu lernen und sich um deren Erhalt zu kümmern.
Herr Menzel von der Landwirtschaftsbehörde erklärte, dass es von Seiten der Behörde vorrangig darum ginge, die Belange der Landwirtschaft und des Naturschutzes in Einklang zu bringen. Schwerpunkt sei der Erhalt der Wiese. Früher in den 70ziger und 80ziger Jahren da hätte man Order gegeben, die Bäume zu roden und 10 Jahre später hätte man eine Prämie bekommen, wenn man Bäume pflanzte. Paradox! Zurzeit gehe man neutral mit dieser Angelegenheit um.
Bei Beate Weis, die im Haus der Gesundheit an der richtigen Schaltstelle sitzt, merkte man bei ihren Ausführungen, dass sie sich große Sorge um den „Patienten“ mache. Sie selbst habe sich schon als Kind für Sorten und ihre Verwendung interessiert und jetzt sei sie manchmal richtig frustriert, weil sie befürchtet, dass die Streuobstwiese, die besondere Landschaftsform und das damit verbundene Wissen um alte Apfelsorten verloren geht.
Sie erzählt von ihren Bemühungen, z.B. wie sie versuchte, bei den politischen Behörden ein Bewusstsein zu schaffen, aber da käme nur allgemein zurück: damit lässt sich kein Arbeitsplatz sichern. Oder weiter: sie bot ihre Äpfel in Bioläden an, aber auch das scheiterte, denn die Geschäftsleute dürfen nur zertifizierte Ware ins Sortiment nehmen.
Und – wussten Sie, dass Bioäpfel gespritzt werden dürfen? Nur Äpfel von der Streuobstwiese sind ungespritzt. Außerdem würden sich die Großkonzerne auf 3 Apfelsorten spezialisieren. Den Golden Delicious, die Sorte Jonathan und Cox Orange. Die 3 Sorten würde man dann wieder kreuzen und heraus käme dann Jonagold (Kreuzung aus Jonathan und Golden Delicious). Armes Deutschland! Was viele nicht wussten ist, dass Äpfel auch mit Antibiotika gespritzt werden und dies mit einer Übersteigerung von bis zu 14facher Höchstwerte. Ich krieg die Krise!
Man könnte anfangen, sich richtig Sorgen zu machen, wenn nicht auch bei jeder Veranstaltung der Versuch unternommen werden würde, positive Ansätze auszuloten. Was können wir tun?
Wie dem Sorgenkind „Streuobstwiese“ helfen.
Es gibt Hoffnung. Zum Beispiel: Unter den Gästen war ein Student. Seine Leidenschaft: Streuobstwiesen! Er hat bereits eine Weiterbildung in Reichelsheim absolviert. Er pflegt bereits Streuobstwiesen, zieht Apfelbäume groß und schneidet Obstbäume. Er sprach von dieser Ausbildung sehr positiv und auch die TeilnehmerInnen (ca 40 Personen) machen Mut, dass sich immer mehr Gleichgesinnte finden und gemeinsam arbeiten.
Ein weiterer Ansatz: Bildung. Vermehrt bieten wir im NZB Kurse für Schulklassen an. Mit ganzjähriger Themenvielfalt. Die erste Resonanz ist ermutigend. Beate, vom Haus der Gesundheit, wird zusammen mit MitarbeiterInnen aus dem NZB auf vielfältige Weise Kinder an den „Geschmack des Apfels“ heranführen. Sie werden Äpfel ernten, keltern, Apfeltee und andere Apfelleckereien herstellen und spielerisch und z.B. sackhüpfend den Weg vom Apfel zur Kelterei darstellend, aufzeigen.
Das Rad aber, von dem ich glaube, an dem man am meisten drehen müsste, um die Streuobstwiesen in den Mittelpunkt zu rücken, ist für mich der Tourismus. Beate Weis führte mehrere Beispiele von Regionen an, denen es gelungen ist, die Streuobstwiese und ihre Vielfalt aufzuwerten. Z.B. das Mostviertel in Niederösterreich oder die Nachricht vom Schorley (Apfelsaftschorle) aus der Schweiz. In der Vergangenheit hätte der „Blaue Bock“ in Deutschland sehr zu einem positivem Image beigetragen.
Was also können wir tun. Unser Image sei altbacken, um nicht zu sagen: hinterwäldlerisch. Frau Weis nannte ein Beispiel, wie sie, zunächst mit der Kelterei Falter und einem Mineralwasserlieferanten über die Produktion einer Apfelschorle (mit Äpfeln aus der Region) nachdachte. Jetzt ist sie in Schulen unterwegs, um über Abnehmer für Kiosk und Schulverpflegung zu verhandeln. Ermutigend nennt sie die Entwicklung. Wenn wir garantieren könnten, dasss 8000 Flaschen abgenommen werden könnten, dann kann die Abfüllung beginnen.
Ich habe dabei laut nachgedacht und in Aussicht gestellt, dass wir zugunsten der Schorle andere Getränke aus dem Sortiment nehmen würden. Was wir jetzt schon tun, ist, dass wir einen Aufpreis für unseren Apfelsaft von der Kelterei Horn bezahlen, dieser wird in die Pflege der Bäume investiert.
Dies sind alles Ansätze, und ich bin sicher, dass wir im nächsten Jahr im Programmheft die Angebote rund um dieses Thema ausbauen werden. Diesen Studenten, ich nannte ihn Hoffnungsträger, habe ich mir hinterher gleich geschnappt und ihn gefragt, ob er sein Wissen und sein Können hier bei uns miteinfließen lassen könnte. Und – er sagte: JA!
Sie werden von ihm hören. Obstbaumschnittkurse sind sehr gefragt…