Ich weiß nicht, wie oft meine Tochter in Zeiten des Umbruchs zu mir sagte: „Mama, du vergisst zu ernten“. Ich wusste, was sie damit meinte! Wie oft habe ich bereits in meinen mehr als 45 Berufsjahren einen Samen gelegt? Ich habe die Saat auch aufgehen sehen, sie gehegt und gepflegt und dann den Garten verlassen ohne zu ernten.
Das war in den 18 Jahren meiner Tätigkeit im Naturschutzzentrum selten der Fall. Und ich habe nicht nur Himbeeren und Grünkohl im Garten geerntet, sondern auch die Früchte meiner Arbeit.
Vor ein paar Tagen bin ich Martina, einer ehemaligen Referentin, in der Stadt begegnet. Ihre erste Frage war: „Und? Bist du traurig? Kannst du loslassen?“ Ich musste lachen, solche Fragen höre ich zurzeit ständig und – ganz ehrlich – ich habe auch erwartet, dass ich in dieses schwarze Loch falle.
An Silvester, ich erinnere mich noch genau, als kurz vor Mitternacht von Zehn auf Null heruntergezählt wurde, da merkte ich, wie mir plötzlich eine Last von den Schultern genommen wurde. Ich denke, es war das Gefühl von Verantwortung. Ich fühlte mich frei und leicht. Erleichtert.
Im Moment sitze ich im Büro meiner Nachfolgerin Kerstin. Ich komme mir schon richtig fremd vor. Mehrere Tage habe ich mir vor Weihnachten Zeit gelassen, um mein Büro zu räumen. Hab mich von diesem und jenen verabschiedet, aber auch manche Trophäe (meist von Kindern, z.B. ein Erinnerungsglas mit persönlichen Botschaften) in eine Kiste gepackt. Diese hüte ich nun wie einen Schatz.
Schon viele Male sind in Momenten der Ruhe die Jahre an mir vorbei gezogen. Gerade die Anfangsjahre sind mir in guter Erinnerung. Ich sehe den damaligen Umweltamtsleiter Michael Zanger vor mir mit der Frage stehen, ob ich nicht das pädagogische Konzept für ein Naturschutzzentrum schreiben möchte. Meine erste Reaktion war ablehnend, nach dem Motto: „ich schreibe nicht gerne über etwas, ich lebe es lieber“. Letztendlich ließ ich mich überzeugen und siehe da, wir orientieren uns auch heute immer noch an den Werteprinzipien.
Spannend fand ich die Termine, bei denen sich Menschen trafen, um gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, was denn so ein Zentrum inhaltlich als Aufgaben zu erfüllen hätte. Da trafen sich die Leute aus dem Büro, den Behörden mit den Leuten aus dem praktischen Naturschutz, wie denen, die im Frühjahr die Kröten über die Straße tragen. Ich fand das spannend und die Worte des Architekten Heinz Frassine klingen noch in meinen Ohren, als er sagte, dass er auf keinen Fall solch ein Treffen verpassen wollte. Er habe nicht nur eine Menge dazu gelernt, er habe auch auf diese Weise recht schnell eine Vorstellung von dem Gebäude bekommen. Bei der Präsentation gab es deshalb kaum Einwände.
Dann kam die Zeit, als wir das Zentrum mit Leben füllen durften. Wer würden unsere ersten Gäste bzw. Kunden sein? Es waren die Familien, die einen Kindergeburtstag hier buchen wollten. Sie waren dann auch die „Pusteblumen“, die den Samen verbreiteten. Bald kamen erste Schulklassen, und über das Jahresprogramm lockten wir noch viele weitere neugierige,
wissensdurstige und entdeckerfreudige Menschen an. Es dauerte auch nicht lange, bis Unternehmen oder Privatleute die „Location“ für ihre Events entdeckten. Ich gebe zu, es war lange Zeit für uns eine Herausforderung, diese Vermietungen für alle Beteiligten zufriedenstellend zu gestalten. Warum wir es trotzdem gemacht haben? Weil wir der Überzeugung waren, dass man diesen besonderen Ort an der Erlache mit seinem Flair für ein unvergessliches Erlebnis nutzen kann, wenn man seine Qualität erkennt.
Leichter war es für uns natürlich, unsere naturpädagogischen Angebote für Groß und Klein durchzuführen. Mutter Natur hält hier zu jeder Jahreszeit ihre Schätze bereit und wir mussten nur genau hinschauen und den Schatz gemeinsam heben. Dazu gehören die Lebewesen im und am Teich, die Wiesenbewohner, die Akrobaten der Lüfte, die Fledermäuse und natürlich die Funde der Eiszeit. Es gäbe so viel zu schreiben, aber dafür gibt es ja seit 2010 die Blogeinträge.
Mir ist es wichtiger zu erwähnen, was in mir Spuren hinterlässt. Das sind und waren die Begegnungen , das Miteinander und der vertrauensvolle Umgang zwischen Mensch und Natur.
Natürlich sind es die Erlebnisse mit Kindern, die mich besonders berühren. Ihre Neugier, ihre Unbekümmertheit, ihre Kreativität, ihre Dankbarkeit für das Einfache, ihr Spürsinn, was Freisein wirklich bedeutet, all dies nahm ich wahr und es wurde auch zu einem Geschenk für mich. – Ja, Kinder wurden meine Vorbilder. Sie honorieren sofort, wenn man sie bemerkt, sie erfasst in ihrer Einmaligkeit und sie bedanken sich mit ihrer Treue zum NZB. Nicht selten gibt es Familien, die ihr Kind mit dem 6. Lebensjahr anmeldeten und die uns bis heute verbunden sind. Manch dieser Kinder begleiten uns inzwischen selbst als Betreuer, Praktikantin oder Stammgast bei unserer Arbeit .
Beim Aufräumen in meinem Büro habe ich als letzten Akt die vielen Bilder und Briefe von der Schrankwand hinter mir abgehängt. Sie gaben mir all die Jahre Stärke aus dem Hintergrund. Und wenn ich mal ideen- oder mutlos in meinem Bürosessel hing, musste ich mich nur umdrehen und mich erinnern.
Meine Handschrift als Pädagogin will ich nicht leugnen. Im Gegenteil, sie war für mich von Vorteil. Der Mensch mit seinen Stärken und Schwächen stand im Vordergrund und ich gestehe es mir selbst ein, ich bin gerade dann gewachsen, wenn es mal nicht so einfach war. Diese 18 Jahre gaben mir aber auch die Chance zu erkennen, dass ich nicht vergessen darf, zu ernten. Seit Wochen und Monaten konzentriere ich mich auf die Ernte. Sie ist reichlich und ich nehme sie an.
Und so kann ich sagen: DANKE für diese Zeit. Ich habe erkannt und danach auch konsequent gehandelt, dass man den Menschen und die Natur als Einheit betrachten sollte. Wobei die Natur mein bester Lehrmeister war und ich es als meine Aufgabe ansah, den Menschen am Beispiel der Natur Zusammenhänge aufzuzeigen. Ich hatte dafür ein gutes Sprichwort an meiner Wand hängen: „Wer das Kleine entdeckt, hat das Große schon gesehen“.
Ich bleibe noch eine Weile im „Dunstkreis“ des NZBs. Stelle mich als Referentin zur Verfügung und möchte auch bei den Ferienspielen noch eine Weile dabei sein. Beim Schreiben des Blogs habe ich bewusst alte Bilder herausgekramt. Manche sind ohne Bezug zum Text, aber das ist nun mal so. Ich danke an dieser Stelle auch noch einmal allen Wegbegleiter*innen. Dazu gehören meine Vorgesetzten genauso, wie ehemalige Mitarbeiter*innen, Referent*innen und alle anderen Menschen, die mir in dieser Zeit ans Herz gewachsen sind.
Ich werde vor allem Mechtild und Sarah vermissen. Wir haben gerade in der Zeit der Pandemie gut und vertrauensvoll im Team gearbeitet. Wir haben zusammen gelacht, geweint und uns auch gegenseitig geholfen und unterstützt.
Dem ganzen Team wünsche ich unter der neuen Leitung von Kerstin alles erdenklich Gute.
Kerstin, dir wünsche ich, dass du täglich erkennen und erfahren kannst, dass bei all den Herausforderungen, die nun auf dich warten, immer jemand in deiner Nähe ist, der dich anlächelt und dir Mut macht. Du bist nicht allein. Es stehen dir viele Menschen zur Seite, die dich unterstützen werden. Viel Erfolg und Freude bei deiner neuen Aufgabe.